Meine Gedanken zur Berichterstattung über Fake Science

Ich habe die Fake Sciene-Berichterstattung und die Antworten vieler meiner KollegInnen die letzten Tage verfolgt und ich denke, dass die wichtigsten Dinge gesagt wurden. Über das Wochenende habe ich mir allerdings noch einmal Gedanken insbesondere zu zwei Punkten gemacht.

Ich gehöre zu dieser Gruppe von WissenschaftlerInnen, die einmal in einem Raubverlag veröffentlicht haben. Wir, meine Co-Autorin und ich, hatten uns damals (2013) für ein Journal von Scientific Research Publishing entschieden, weil wir in guten Journals unserer eigenen Disziplinen nicht untergekommen sind. Diese Tatsache zeigt eigentlich, dass die Qualitätskontrolle im Wissenschaftssystem gut funktioniert, denn: Wir haben uns – als Nicht-Literaturwissenschaftlerinnen – mit der Analyse der Freundschaftsnetzwerke in den Harry Potter-Büchern beschäftigt. Wir wollten die Arbeit in jedem Fall publizieren, da der verwendete Datensatz aufgrund bestimmter Eigenschaften sehr gut in der Methoden-Lehre eingesetzt werden kann. Der Artikel an sich ist auch aus meiner heutigen Sicht für den Zweck, für den wir ihn geschrieben haben, sehr gut. Hinsichtlich des Journals ist uns auch damals als jungen Nachwuchswissenschaftlerinnen schnell aufgefallen, dass es irgendwie ein komisches Journal ist, wenn unser Beitrag neben einem bunten Mix aus natur- und ingenieurwissenschaftlichen Artikeln erscheint. Wir wussten auch, dass unsere KollegInnen diese Publikation einordnen können und sie nicht als bedeutenden wissenschaftlichen Beitrag für unsere jeweiligen Disziplinen verstehen. In der Tat habe ich damals aber nicht bedacht, dass ich mit einer Publikation bei diesem Verlag ein System unterstützen könnte, was die Verbreitung unseriöser Studien fördert. Ich dachte, dass es da durchaus eine gewisse Qualitätskontrolle gibt und da nur richtige WissenschaftlerInnen publizieren, aber eben solche Arbeiten, die entweder nicht ganz perfekt waren oder wie unsere aus der Reihe tanzten und daher nicht in die klassischen Journals passten. Dass dem nicht so ist, ist mir erst in den letzten Jahren nach und nach aufgegangen. Ich hatte auch vermutet, dass die Kenntnis über dieses Problem in der Wissenschaftsgemeinschaft mittlerweile allgemein Verbreitung gefunden hätte.

Aber die Recherchen von WDR, NDR und Süddeutsche Zeitung zeigen [1], dass diese Erkenntnis in der Wissenschaftsgemeinschaft doch nicht so verbreitet ist wie ich dachte und dass auch noch in den letzten Jahren WissenschaftlerInnen auf Raubverlage reingefallen sind. Somit ist es definitiv gut, dass die Medien auf dieses Problem aufmerksam gemacht haben. Wichtig und hilfreich sind dabei vor allem unaufgeregte und sachliche Analysen, wie die von Markus Pössel [2], um dem Problem auf den Grund zu gehen. Ich glaube aber auch, dass es bereits viele Gegenmaßnahmen gibt. Dazu gehören nicht nur Kriterien für gute Open Access Publikationen, sondern die immer besser werdende institutionalisierte Betreuung des wissenschaftlichen Nachwuchses.

Das ist aber nun die eine Sache. Dass Missstände aufgedeckt werden ist gut und wichtig. Nur die Art wie insbesondere Exclusiv im Ersten [3] berichtet hat, halte ich für schwierig. Im Grunde wurden zwei Dinge vermischt. Es gibt Fake Science in dem Sinne, dass es Gruppen von Menschen gibt, die unter dem Deckmantel der Wissenschaft schlechte Studien produzieren und publizieren. Ziel dieses Vorhabens ist die Vortäuschung falscher Tatsachen und damit einhergehend die Täuschung der Gesellschaft. Das ist das eine. Das andere ist, dass es die richtige Wissenschaft gibt, die eine recht gut funktionierende Qualitätskontrolle hat, aber dass Raubverlage zum Beispiel meinen oben beschriebenen naiven Pragmatismus ausnutzen, damit Namen renommierter Forschungsinstitutionen gemeinsam mit unseriösen Studien in einem Journal auftauchen können. Diese beiden Punkte sollte man meines Erachtens in einer investigativen Berichterstattung trennen.

Denn mit der Vermischung dieser beiden Dinge passiert genau das, was die JournalistInnen – so vermute ich – definitiv nicht wollen und was letztlich auch das Ziel von Fake Science ist: Die Täuschung der Gesellschaft. Wenn in einem Beitrag Bilder von Fake-Konferenzen und vom Lindauer Nobelpreisträgertreffen gezeigt werden, dann gibt es für die die ZuschauerInnen keine eindeutige Trennung mehr zwischen Fake Science und Wissenschaft. Damit spielt man dem Publikum, das ohnehin an wissenschaftlichen Erkenntnissen wie der Existenz eines Klimawandels zweifelt, in die Hände, wie Robert Gast auf Spektrum schon treffsicher feststellt [4]. Neben dieser fehlenden sauberen Trennung, kommt hinzu, dass die Emotionalisierung des Themas und hier insbesondere das Spiel mit der Angst nichts mit investigativ zu tun hat. Investigativ bedeutet, dass Fakten aufgedeckt werden. Ich habe aber manchmal den Eindruck, dass investigativ mittlerweile als Synonym für „reißerisch über einen Skandal berichten“ verwendet wird. Wenn Fakten umrahmt von Bedrohungsszenarien präsentiert werden, dann verstärkt das ein Gefühl der Verunsicherung beim Publikum [5]. Mir ist klar, dass man in einer Reportage vielleicht auch ein Stück weit emotionalisieren muss, damit das Thema überhaupt Beachtung findet. Man sollte sich aber auch der negativen Wirkung bewusst sein: Eine Unsicherheit, die tatsächlich existiert, wird durch Emotionalisierung stärker wahrgenommen. Es ist nämlich wirklich so wie es bei Exclusiv im Ersten dargestellt wurde: Wir leben in einer Welt, in der es immer schwieriger wird, zwischen Wahrheit und Unwahrheit zu unterscheiden. Das führt in der Tat zu Unsicherheit. Unsicherheit sollte man aber mit Fakten und Wissen und nicht mit Emotionen begegnen. Daher ist es wichtig, dass wir Vertrauen in die Säulen unserer Gesellschaft, wie der Wissenschaft und den etablierten und seriösen Medien stärken. Ich glaube, dass eine dramatisierende Berichterstattung hier nicht wirklich hilfreich ist.

[1] https://www.ndr.de/nachrichten/investigation/Dossier-Das-Geschaeft-mit-der-Wissenschaft,fakesciencedossier100.html

[2] https://scilogs.spektrum.de/relativ-einfach/abzock-zeitschriften-den-daten-auf-der-spur/

[3] https://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/exclusiv-im-ersten-fake-science-die-luegenmacher-102.html

[4] https://www.spektrum.de/kolumne/dieser-begriff-kann-der-wissenschaft-nur-schaden/1579216

[5] Dazu gibt es viele (seriöse) wissenschaftliche Erkenntnisse angefangen bei den grundlegenden Arbeiten von Kahneman‘s und Tversky’s hin zu vielen aktuellen Studien im Zusammenhang mit dem Thema Immigration wie zum Beispiel von Brader, Valentino und Suhay (https://www.jstor.org/stable/25193860?seq=1#page_scan_tab_contents).